Review

V.A. Face of Soleil II

05/07/2008 2008-07-05 12:00:00 JaME Autor: YURA

V.A. Face of Soleil II

Review zum zweiten Teil der Face of Soleil Omnibus Reihe

Album CD

Face of Soleil II

S, Vasalla

Künstler: Diverse Künstler
Titel: Face of Soleil II
Typ: Omnibus Album
Release: Januar 2000
Stil: Rock / Pop-Rock / Metal / Industrial
Bewertung: 8,2 / 10


Tracklist:

01. Vasalla - PASSAGE -SPEED EDITION 2000-
02. birushana - kaze
03. Facizm - GET INTO A STAGE
04. PRESEDIA - 6[six]
05. DoLLs-eyE - mayu
06. Veill - kizu
07. VIOLET-NARCISSUS - [37564] No. 5
08. pyuera - shiroi chikai
09. MARRY+AN+BLOOD - ryuuketsu
10. S - mukade



Ach waren das noch Zeiten, als selbst die einfallsloseste VK-Band sich nicht mit Pailletten zukleisterte und ihre Fotos irgendwo im Kellergewölbe aufnahm, um daraus Flyer zu machen. Diese Rohheit ist heutzutage fast komplett abhanden gekommen, und jede Band präsentiert sich auf Hochglanzpapier. Und ähnlich steril wird zusehends auch die Musik. Deshalb halte ich die Fahne hoch für die Bands, die damals vielleicht mittelmäßige Musik machten, diese aber wenigstens im positiven Sinn amateurhaft produzierten. Darum grabe ich auch ständig ältere Fundstücke aus, die das Interesse an der Historie wecken sollen.

Vasalla waren in den 90ern, was heute diverse namhafte Indies sind. Bekannt, beliebt, aber nicht unbedingt überragend in dem was sie machen. Das Lied bietet einen netten Punk-Opener mit gedämpftem Ton. Danach heizt es, ein paar Dezibel weiter oben, mit ordentlichem Tempo durch die Komposition. Die Instrumente, allen voran das Schlagzeug, machen ihre Sache sehr gut. Der Sänger schafft es aber leider nicht, die an sich gut konzipierte Melodie zu bereichern. Mit einem anderen Sänger wäre es deutlich besser. Dafür entschädigen aber die Instrumentalparts mehr als genug.

birushana sind das wohl bestgehütetste Geheimnis der Visual Kei Szene. In der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts verschwanden sie ohne irgendetwas zu sagen, ließen aber ihre Homepage stehen, in dessen Gästebuch sich heute noch Leute eintragen. Und dann aus dem nichts wurde 2007 an der Homepage gebastelt, und der Sänger meldete sich persönlich im Gästebuch. Und die Band macht trotzdem nichts. Und wenn man dieses Lied hört, fragt man sich: WARUM? Solch einen atmosphärischen Goth-Rocker gab es seither, wenn überhaupt, nur ein, zwei Mal. Wäre die Tonspur nicht lauter als die Gesangsspur, wäre es schwer zu schlagen. Und erst der Refrain. So viel Gefühl in den Text zu stecken. Da könnte heutzutage kaum ein Sänger mithalten.

Die Band Facizm, bevor sie sich Ende 2000 in Philia, die nichts mit der heute bekannten Band zu tun hatte, umbenannte, war eine der vielen belangloseren Indies. Setzten keine Akzente und sind deshalb auch heute fast vergessen. Die Musik ist überraschend fröhlich. Angenehmer Rock mit feinen Pop-Kanten. Schwankt irgendwo zwischen dem, was vielen damaligen Bands einen Major Vertrag einbrachte, und dem was man heute, wenn es dekadent produziert wäre, locker als Oshare-kei bezeichnen würde. Dafür aber ist die Stimme interessant. Alltäglich und zugleich mit überraschenden Nuancen gesegnet. Die Musik erinnert dennoch stark an das oben erwähnte Genre. Die Band macht also eigentlich nichts falsch, war aber damals ihrer Zeit zu weit voraus, um im düster-dominierten Genre Fans zu finden.

Über PRESEDIA gibt es sogar noch weniger zu sagen. Dass sich der Sänger danach aber gute sechs Jahre in einer recht bekannten Band hielt, schon eher was. Ein Wort: Stahlgewitter. Das ist das Erste was einem bei diesem brachialen Intro einfällt. Und seltsamerweise ist es gerade der, später erfolgreiche, Sänger, der mit seinem zu sanften Gesang das Tempo herausnimmt, anstatt daraus einen Metal-Brecher zu zaubern. Stattdessen ist es die ziemlich allgemeine Unentschlossenheit, die er praktiziert. Ab der Mitte die überraschende Wende. Das Lied hört sich an wie ein gut abgeschauter X JAPAN Klon. Gut, der Sänger erreicht nicht das Vorbild, die Komposition aber durchaus. Da hat jemand ganz dezent die große Band im Hintergrund laufen gehabt, als er das Lied schrieb. Und das Solo ist auch absolut nicht von schlechten Eltern! Noch einmal schön "Brett-Faktor" hochgeschraubt und durch Sänger wieder einreißen lassen, und fertig ist ein überraschend gutes Lied.

Bei DoLLs-eyE hat im Gegenzug jemand wohl zu viel BAISER gehört. Und da schau an. Da ist Hisui (ex- GHOST) dabei. Er hätte ruhig bei GHOST auch so paar Stimmungskanonen rauslassen können. Der Sänger hat das gewisse Etwas in der Stimme, das ihn aus der Masse abhebt. Im zweiten Drittel noch ein Gitarrensolo untergebracht, und das ganze mit paar Melodiebrüchen verfeinert. Macht schon was her in der Gesamtkomposition. Und hätte ruhig ein wenig länger sein können.

Veill sind ein weiteres vergessenes Kapitel, deren Mitglieder in der Musikszene zu früh aufgegeben haben. Denn das Stück womit sie ihre Visitenkarte verteilten, hat zumindest anfangs was zu bieten. Aber nicht den Sänger. Dieser bemüht sich zwar, vermag aber nicht das Potenzial des Werkes voll zu entfalten. Nur im Refrain kommt er ein wenig an das Optimum heran. Ansonsten ist es wieder die Musik, die überzeugt. Alles in allem eher grenzwertig, aber mit einem Fuß in der Türschwelle zum "Gut". Und erst das Ende knallt die Tür endgültig zu. Schade, denn das Stück hat sehr gute Ansätze.

VIOLET-NARCISSUS sind auch eine Eigenheit der damaligen VK-Szene. Gekleidet, als ob sie KENZI persönlich grad bei seinem ANTIFEMINISM Projekt dabei hätte und musikalisch auf komplett eigenen Pfaden. Industrial-VK war damals nun mal eher eine Ausnahme. Wobei es nicht ganz an heutige Industrial-Heroen heranreicht, sondern auf halbem Weg noch so einiges an Techno-Resten vorzuweisen hat. Muss man absolut nicht mögen. Aber den Oscar für die seltsamste Kombo der damaligen Zeit hätten sie verdient. Ordentlicher Beat und ein Gesang, der auch gut mit Metal-Punk unterlegt funktionieren würde. Insgesamt sehr gute Leistung. Die Band hatte entweder den Absprung in eine andere Szene verpasst, oder war ihrer Zeit zu weit voraus um längerfristig erfolgreich zu sein. Der Titel ist übrigens ein Wortspiel und wird "minagoroshi" gelesen, also Massaker oder Massenmord.

Mit pyuera ist eine weitere Eintagsfliege auf dem Omnibus-Album. Warum sie es aber auf das Album geschafft haben wird schnell offensichtlich. Talentierter Sänger, ordentliches Tempo im Lied und auch die Melodie kommt nicht zu kurz. Hat einige Anleihen bei bekannten Bands, nur kann man das dann doch nirgends genau zuordnen. Über ein paar kleine Unzulänglichkeiten sieht man gerne hinweg. Gesamteindruck gut, auch wenn etwas sehr alltäglich geworden.

MARRY+AN+BLOOD. Dieser Name macht mich stets hellhörig, denn die Band hatte einen der verkanntesten Sänger aller Zeiten. Eines der größten Talente seiner Zunft, und stets von Kurzlebigkeit geplagte Projekte. Sein Name: KANZAKI; derzeit wieder von der Sherow Artist Society aus der Versenkung geholt, die er meiner Meinung nach nicht verdient hat. "ryuuketsu", frei übersetzt "fließendes Blut", startet mit einigem Tempo, der Sänger hält sich dezent zurück, bekommt aber dennoch das Maximum aus dem eher dürftigen Text heraus. Und dann kommt der Refrain. Zu kurz, aber dennoch genug Zeit für KAMIYA, wie er damals hieß, seine Stärken zu zeigen. Die Strophen wirken, als ob man sie zu oft in dieser Weise gehört hat, und auch die paar eingeworfenen Gröhl Backvocals, reißen es nicht sonderlich heraus. Chance vergeben!

Und schon ist wieder die CD fast zu Ende. Bleibt nur noch die Nagoya-Größe S, die aus der "zweiten Generation" des Nagoya-kei wohl am längsten überlebt hat. Den typischen Flair haben sie, obwohl zu jenem Zeitpunkt gerade mal ein halbes Jahr mit neuem Sänger aktiv, eindeutig gepachtet. Der Sänger ist im Refrain, an sich eine absolute Zumutung, aber genau das macht den besonderen Reiz dieser Band aus. Die Komposition ist gelungen, die Instrumente gut platziert. Wie erwähnt ist der Sänger nicht der talentierteste, aber so viel Mühe wie er sich dabei gibt, ja man könnte fast von Inbrunst reden, bringt die entscheidenden Bonus-Punkte. Und für Nagoya-kei Jünger eh ein Muss.

Fazit: Überraschend gelungenes und überdurchschnittliches Sampler-Album. Die Bands die mit ihren Beiträgen scheiterten, verfehlten die Note gut nur minimal. Mit Ausnahme von MARRY+AN+BLOOD, die sich mit dem veröffentlichten Stück wahrlich nicht mit Ruhm bekleckerten, da sie sonst stets immer gute Songs präsentierten. Aber auch dieser Song hat mit einem "befriedigend" den Schnitt nur minimal gesenkt. Das Stück von Facizm ist keinesfalls schlecht, nur eben nicht jedermanns Geschmack. Als Letztes lässt sich feststellen: ein neues Soleil braucht das Land. Denn die wenigen Labels im Privatbesitz einzelner Musiker wie SAS (zu viel Theatralik), Loop Ash (zu viel Belanglosigkeit und zu viel Michiru) oder Maple Kiss (zu wenig Bekanntes) bieten keine große Alternative. Andererseits überlebt auch KENZIs Anarchist Records, trotz bedenklich weniger Bands, wodurch TOMOZOs Sequence Records derzeit wohl die einzige wirklich effektive Talentschmiede des VK-Undergrounds ist. Und das ist eindeutig zu wenig für eine Szene, die durch Förderung junger Bands und nicht durch deren Produktion, leben sollte. Und erst dann werden wieder solch ausgewogenen Omnibus-Alben das Land bereichern.
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S, Vasalla
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