Am Wochenende des 8. und 9. September 2012 feierte der
Tea Party Club, eine Gruppe von britischen Lolitas, die Treffen und Events organisiert, sein fünfjähriges Jubiläum mit der ersten Brand Party des Vereinten Königreichs im Charing Cross Hotel in London. Im Gegensatz zu den meisten westlichen Brand Parties, die zu Sweet Lolita tendieren, war die Veranstaltung der Classic Lolita Marke
Juliette et Justine gewidmet, die durch Chefdesignerin
Mari Nakamura repräsentiert wurde. Mit von der Partie waren außerdem
Mariko Suzuki, die Redakteurin des führenderen Szenemagazins, der Gothic & Lolita Bible, die international berühmte Puppendesignerin
Koitsukihime, die mit Künstlern wie
Tim Burton,
Malice Mizer und
D sowie der Lolitamarke Baby the Stars Shine Bright gearbeitet hat, und Visagist
Akira Tanaka von
Tony's Collection Inc.
Die Aussicht darauf, diese namhaften Gäste zu treffen, zog eine Rekordzahl von 180 Lolitas aus Großbritannien, dem übrigen Europa, den USA, Australien und sogar Singapur an. Mit dabei war auch
Pat Lyttle, Modefotograf und Autor des Buchs "Japanese Street Style", denn dies war nicht nur die erste britische Brand Party, sondern auch Juliette et Justines allererste Brand Party und ihr erstes internationales Event überhaupt.
Samstag
Der Tag begann mit einer Stunde Shopping, bei der die Teilnehmer sich an Juliette et Justines luxuriösen Kreationen, einschließlich eines T-Shirts mit Katzenprint, das exklusiv für die Veransaltung angefertigt worden war, sowie Accessoires von westlichen Marken wie Roxie Sweetheart, Now Voyager und Dunkelsüß, satt kaufen konnten. Gegen Mittag wurde mit einer 40-minütigen Fragestunde, die einige überraschende Informationen enthüllte, zum eigentlichen Programm übergegangen. Beispielsweise verriet
Mari Nakamura, daß 40% ihrer Kunden Ausländer sind, und
Mariko Suzuki, die Redakteurin des einflussreichsten Mode- und Lifestyleführers der Szene, erklärte, daß Lolitas ihre eigenen Regeln aufstellen können.
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Nach einer Mittagspause mit wahlweiser Schatzsuche war es Zeit für das zweite Highlight des Tages: Juliette et Justines Modenschau mit Designs aus ihrer Herbst- und Winterkollektion. Eine kurze Opernperformance sorgte für die passende Stimmung, dann begann die Show sehr angemessen mit einer spektakulären, schwarzen und goldenen Kreation, auf deren Oberteil das
Regenbogen-Porträt von Königin
Elisabeth I von
Isaac Oliver zu sehen war, während der Rock die St. Edwards Krone, eins der britischen Kronjuwelen, zeigte. Das Outfit, das von einer Minikrone vervollkommnet wurde, die dem Model stylisch an einer Seite des Kopfes klebte, war ein perfektes Beispiel für die photographischen Reproduktionen von historischen Gemälden, für die Juliette et Justines bekannt geworden sind.
Passend zu den historisch inspirierten Prints und Designs, marschierten die Models, die im Vorfeld aus den Reihen des Publikums ausgewählt worden waren, zu den Klängen klassischer Musik über den Laufsteg. Da die Anwesenden sämtliche Kleider und Röcke, die in der Show mitwirkten, bestellen konnten, trugen die Models Nummern, damit die einzelnen Stücke leicht zu identifiziert waren. Dies war ein aufregendes Privileg, denn einige Designs waren offiziell ausverkauft und andere waren noch nicht veröffentlicht. Alle Teilnehmer erhielten außerdem einen Gutschein über 2000 Yen, der für zukünftige Bestellungen benutzt werden konnte.
Auf das
Elizabeth I Kleid folgte das eigenwillige
La robe du château, zuerst in pink und dann in blau. Es war eins derjenigen Designs, die bereits in Produktion waren, und kombinierte das Weiße Haus in Washington mit scheinbar wahllosen viktorianischen Illustrationen, darunter ein Pferd, ein Kakadu und ein bärtiger Zwerg.
Nach zwei einfarbigen Kleidern, eins salbeigrün und das andere altrosa, kehrten die historischen Gemälde in der Form eines gewagten blauen Stücks mit
Bronzinos
Allegorie der Liebe zurück, gefolgt von einer grauen Variante des selben Designs. Als nächstes entführte
La bibliotheque die Anwesenden ins Italien des 15. Jahrhunderts mit Portraits des Herzogs und der Herzogin von Urbino,
Federico da Montefeltro und seiner Frau
Battista Sforza, vor einem Hintergrund aus antiken Bücherregalen, die sich in einer kurzen, asymmetrischen Schleppe fortsetzten. Darauf folgte eine schwarz und rot gestreifte Robe mit goldenem Korsett, bevor
Le parfum de Jésus das Gesicht des Heilands auf die Brust eines ärmellosen schwarzen Kleides malte, das ungewöhnlich für Lolitamode - und in Anbetracht des Motivs vielleicht etwas unangebracht - auf nackter Haut und mit langen schwarzen Handschuhen anstelle einer Bluse getragen wurde.
Nach einer weiteren Operneinlage, bei der die Sängerin natürlich ebenfalls Juliette et Justine trug, ging die Modenschau mit einem Outfit mit Zirkusthema weiter. Ein knielanger Rock, der mit viktorianischen Illustrationen bedruckt war und mit "The Greatest Show on Earth" prahlte, lugte unter einer bordeauxroten Robe mit gelben Fransen und einer Schleppe, die dramatisch bis zu den Fersen des Models herabfiel, hervor. Ein bordeauxroter Zylinder vervollständigte den Look. Die Stimmung änderte sich drastisch mit
an renard et l'ami de la forêt, einem bezaubernden Zweiteiler, auf dem sich ein Fuchs, ein Hirsch, ein Hase und kurioserweise ein Schwan in einem majestätischen, grünen Wald tummelten. Danach folgten
Die Sterntaler, ein Traum aus schwarzem und goldenem Chiffon, der das bittersüße Märchen der Gebrüder Grimm erzählte.
Das gloriose
L'annonciation kündigte de Rückkehr von religiösen Themen an. Das puffärmelige Keid wurde in zwei verschiedenen Farben präsentiert und zeigte
Hans Memlings Gemälde, umgeben von goldenen Ornamenten und Kruzifixen, auf einem roten oder königsblauen Grund.
La danse de la dame ließ elegant gekleidete Rokokodamen auf einem schwarzen Crepestoff mit Samtnoppen tanzen, dessen Oberteil mit weißer Spitze bedruckt war während den Saum eine Borte aus weißen Schleifen zierte. Danach wurde der
La Vierge Marie Rock, der
Fra Filippo Lippis Madonna von Rosen und Perlen umgeben zeigte, mit einem blauen Korsett und einer weißen Bluse kombiniert.
Auf eine geschmackvolle Kombination aus einem schwarz, blau und gold gestreiften Rock, einem schwarzen Korsett und einer weißen Chiffonbluse folgte eine weitere Variation des Bibliothekenmotivs, doch anstelle von italienischen Aristokraten wurden auf dem Rock Portraits von Katzen in historischer Kleidung gezeigt. Dann wurde mit einer dramatischen Interpretation von
Jean-Francois de Troy's
Die Liebeserklärung, welche das tiefe rot des Gemäldes mit einem schwarzen Oberteil und Handschuhen verband, die das blassblaue Kleid der Heldin hervorhoben, der Trend zur Rokokoromanze wieder aufgenommen.
Nach roten und blauen Variationen des beliebten Spielkartenmotivs endete die Show ebenso königlich wie sie begonnen hatte, mit
Martin van Meytens' Portrait der jungen
Marie Antoinette, das von einer Fülle seidiger, rosa Rüschen eingerahmt wurde. Die zuckersüße Farbgebung lenkte geschickt von der Tatsache ab, daß das Design beinahe identisch mit dem des
Elizabeth I Kleides war, was eine gewisse Unbekümmertheit im Umgang mit historischen Modestilen verriet. Von solchen kleinen Eigenheiten abgesehen waren die gezeigten Kreationen jedoch hinreißend schön und äußerst originell, und so war der tosende Applaus, mit dem
Mari Nakamura belohnt wurde, wohl verdient.
Nachdem die Modenschau vorbei war, händigten die Anwesenden ihre Bestellformulare ein, zusammen mit Fragebögen der Gothic & Lolita Bible, die zuvor verteilt worden waren und persönliche Fragen stellten, wie Lieblingsmode und -Musik, wann und warum man angefangen hat, Lolita zu tragen, wie man sich dabei fühlet und auf welche Probleme man gestoßen ist. Danach folgte eine Autogrammstunde mit
Mari Nakamura und
Mariko Suzuki, bevor das Programm mit einer Verlosung endetet, deren Preise von den Gästen aus Japan, westlichen Lolitamarken und anwesenden Lolitas gestiftet worden waren, zu Ende ging. Die Aufregung war jedoch noch nicht vorüber: während noch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf die Mitte des Raums gerichtet war, fiel der langjährige Freund von Tea Party Club Gründerin
Kyra vor ihr auf die Knie, machte ihr einen Heiratsantrag und überreichte ihr einen Verlobungsring. Als sie "ja" in das Mikrophon flüsterte, das sie noch vom Ausrufen der Gewinner der Velosung in der Hand hielt, waren viele Lolitas zu Tränen gerührt.
Sonntag
Trotz der glanzvollen Umgebung im großen Saal des Charing Cross Hotels, in dem Kellner traditionelle Sandwiches, zierliche Kuchen, Scones, Tee und Kaffee servierten, war nur schwer vorstellbar, daß die spektakulären Ereignisse des Vortages von einem friedlichen Kaffeeklatsch überflügelt werden könnten. Nachdem alle anwesenden Lolitas mindestens einen Preis in einer weiteren, großzügigen Verlosung gewonnen und die Sieger der diversen Wettbewerbe bekannt gegeben waren, darunter das beste Outfit, das beste Makeup, das puppenartigste Styling und ein Designwettbewerb, dessen Gewinner die Ehre haben werden, ihre Kreationen von Juliette et Justine in die Realität umgesetzt zu sehen, hatte
Mari Nakamura jedoch eine Überraschung bereit. Nachdem sie sich bei den Mitgliedern des Tea Party Clubs für die Gelegenheit bedankt hatte, ihre erste internationale Modenschau veranstalten zu können, verkündete sie, daß sie nicht nur
Kyras Hochzeitskleid entwerfen, sondern auch zu ihrer Hochzeit kommen würde.
Damit endete sowohl die Feier zum fünfjährigen Jubiläum des Tea Party Clubs, als auch ein Wochenende, das die Herzen aller Anwesenden berührte. Die Lolitaszene hat ein etwas zänkisches Image, das nicht zuletzt dadurch entstanden ist, daß ein Großteil der Kommunikation in der Anonymität des Internets stattfindet, doch hier war von Animosität nichts zu spüren. Möge der Erfolg und die schlichte gute Laune, die diese gut organisierte Veranstaltung verbreitete, in der Zukunft viele ähnliche Events inspirieren.
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[1] Eine vollständige Wiedergabe des Q&A findet Ihr hier.