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Jahresrückblick 2011 - Teil V

05/02/2012 2012-02-05 01:47:00 JaME Autor: Viktor Hemminger

Jahresrückblick 2011 - Teil V

Das Jahr 2011 aus der Sicht der JaME-Redakteure


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Eines schon mal vorweg. Wer in den folgenden Zeilen einen hohen Erkenntnisgewinn erwartet, kann ruhig den Mauszeiger auf den "Zurück" Button seines Browsers dirigieren. Das Jahr 2011 war an mir ungefähr so vorbeigegangen wie die diesjährige Rallye Dakar an der namensgebenden senegalesischen Stadt. Um es etwas klarer zu formulieren, ich habe im letzten Jahr funktioniert, statt wie in den Jahren davor "gelebt". Angesichts der "gewaltigen Umbrüche" in meinem Leben, die da wären Studiumsabschluss und die damit einhergehende Arbeitssuche, habe ich so ziemlich alles Wichtige was an Neuigkeiten herauskam passiv wahrgenommen, aber kaum verarbeitet. Bezeichnend für diese Diskrepanz ist das neue Album von DIR EN GREY. Es erschien im August - ja, auch hierzulande - und es hatte etwa bis Mitte Dezember gedauert, bis ich das Werk in meinem überquellenden CD-Regal verstaut habe. Wohlgemerkt verstaut, fast noch originalverpackt. Ich weiß noch nicht einmal ob das Album meine Erwartungen erfüllt. Und so ging es praktisch das ganze Jahr.

Ihr fragt euch sicher, warum dann einen Jahresrückblick schreiben, wenn der Inhalt des Textes wie Fontanes "Effi Briest" in einem Satz zusammengefasst werden kann. Dafür gibt es zwei Gründe: Zunächst einmal komme ich nicht umhin euch über die aus meiner Sicht und Vermutung wichtigsten neuen Bands, die es wert wären weiter beobachtet zu werden, zu informieren. Zumindest die zwei Monate die sie nach der Veröffentlichung dieses Textes noch bestehen. Und zweitens kann ich es mir nicht entgehen lassen einen Text zu verfassen, der in der Teilüberschrift ein V trägt. Denn V steht für Vendetta, äh... Viktor.

Fangen wir also endlich an über die Geschehnisse des letzten Jahres in der japanischen Musikszene zu reden. Die einzigen Songs die es 2011 in digitalisierter Form in meine Sammlung geschafft haben, waren die kostenlosen Downloadsongs von DELACROIX und Misaruka. Erste hatten im März das Stück "Betty" veröffentlicht, dass in traditioneller Weise ein paar Elemente des Nagoya Kei aufgreift, diese mit Metal mischt, aber auch mit Rhythmik nicht geizt. An lynch. reicht es noch lange nicht heran, aber es ist unübersehbar wer hier Pate stand. Misaruka haben mit ihrem "-CURSE OF CONTRACT-" ebenfalls einen eingängigen Song in den Äther gestellt, der jeden Hörer als Dankeschön an die Band zum Kauf des 2012 anstehenden Albums verleiten sollte.

Ich denke, dass dieser Punkt auch eine der positiven Entwicklungen der japanischen Szene ist. Gerade die Indies fangen an mit dem Internet, dass ihnen die Tore in die weite Welt öffnet, deutlich freier umzugehen als die konservativen Majorlabels. Klar sind schon seit einiger Zeit viele Songs zum Anhören auf Plattformen wie MySpace oder Audioleaf vorhanden und auch bands-@id hatte seinerzeit viele Songs zum legalen, kostenlosen Download angeboten. Aber es ist doch noch mal eine andere Dimension, wenn Indie Bands konsequent die Schiene fahren und nacheinander mehrere Songs der gesamten Welt zur Verfügung stellen. Gleichwohl es in der Vergangenheit durchaus Fälle wie BAUDE-LAIRE oder hell:near gab, die fast ihre gesamte Diskografie der Welthörerschaft zur Verfügung stellten. Mit dem Unterschied, dass dies meist postwendend, nach der Auflösung der jeweiligen Band erfolgte. Eine weitere positive Erscheinung, die ich aus rein menschlicher Sicht begrüße, waren die zahlreichen Aktionen der Musiker und Künstler, die nach dem Erdbeben im März gestartet wurden um Geld für die Opfer zu sammeln. In solchen Momenten zeigt sich, wie gut eine Gesellschaft noch funktioniert.

Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten. Man kommt nicht umhin die negativen Geschehnisse des letzten Jahres nicht zumindest anzureißen. Meine Kollegen hatten sich schon vermehrt zu den diversen Todesfällen und Bandauflösungen geäußert, weshalb ich mich diesbezüglich ein wenig zurückhalten werde. Um Georg Schramm dem Anlass entsprechend abgewandelt zu zitieren: "Der Tod ist die logische Konsequenz menschlichen Daseins". Jedes Jahr sterben wunderbare Künstler, da würde die Hervorhebung einzelner Personen das Wirken der anderen möglicherweise verhöhnen, weshalb ich hier auf eine Aufzählung von Namen verzichte. Ein höherer Bekanntheitsgrad ist nicht zwingend mit der Bedeutung, den Werken oder dem Talent des jeweiligen Musikanten verbunden. Jeder hatte seine Fans, deren Leben er mit seiner Musik bereicherte und dadurch unvergessen bleibt.

Bei den Auflösungen und indefiniten Pausen mache ich es mir einfacher. Mich hat primär das Ende der vielversprechenden Indie Band Chaos System getroffen. Nach den Singles die die Band veröffentlicht hatte, hätte ich ein halbes Haus darauf verwettet, dass ihr eine rosige Zukunft bevorstand. Auch das Nachfolgeprojekt des Sängers war leider schnell in der Versenkung verschwunden. Ebenso das unwürdige Ende von Schwein, das nach dem Ausstieg des Sängers de facto aufgelöst ist. Im August folgte dann auch noch die interessante Band C"LOW"N aus Hiroshima. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs von aus meiner Sicht talentierten Indie VK Bands die ein wenig abseits des Mainstreams wilderten und wohl deswegen zum Scheitern verdammt waren.

Insgesamt ist die Entwicklung in der VK Szene ein fortwährender, unerklärlicher Schrecken ohne Ende. Waren es einst die unsäglichen Oshare Kei Bands, die wie Pilze aus dem Boden schossen und sich an Belanglosigkeit zu überbieten suchten. So sind es heute die geradezu austauschbaren Bands, die versuchen auf den Zug, den UNDER CODE fährt, aufzuspringen. Klar ist es zu begrüßen, dass eine gewisse Härte wieder Einzug in die Musik gewonnen hat. Aber so einfallslos und überraschungsarm wie zahlreiche neugruppierten Bands sich präsentieren, da wäre mir fast lieber, sie würden es gleich sein lassen. Alleine schon die Kostüme die versuchen eine Düsternis vorzutäuschen, die man in der Musik mit einem Mikroskop suchen muss und die alle vom gleichen Schneider zu sein scheinen, zeugen nicht gerade von Qualität. Und es betrifft nicht nur die nachfolgenden Musikergenerationen. Auch bereits etablierte Bands machen manchmal einen so miesen Wandel durch, dass deren Auflösung, wenn sie denn eintritt, nicht zwingend als negativ empfunden werden muss. Und bevor ich Hassmails erhalte, weil jemand zu viel Interpretationsgabe hat: Diese Passage bezieht sich ausdrücklich nicht auf das Ende von D'espairsRay gleichwohl einzelne Elemente meiner Kritik auch auf ihren Fall anwendbar sind. Ich werde in diesem Zusammenhang keine Namen nennen und auch auf niemandem mit dem Finger zeigen. Soviel Platz stellt man mir nicht zur Verfügung und so viele Finger habe ich gar nicht um die Mengen der Mittelmäßigkeit ans Tageslicht zu zerren. In der Vergangenheit war das niemals anders, aber es war trotzdem cooler, weil zumindest ansatzweise Authentizität durchschimmerte. Ich bitte an dieser Stelle zu verzeihen, dass sich der gesamte Artikel auf die (Post-)Visual Kei Szene bezieht. Aber das ist der einzige Teil der japanischen Musik, für den ich wenigstens ein wenig Zeit fand.

Um die negative Stimmung abzuschließen: Was ist aus Nagoya geworden? Einst eine stolze Stadt der Indiegrößen und erfolgreicher Majors wie deadman und Phobia, KUROYUME und ROUAGE, verkommt sie immer mehr zum Mainstream. Auf einmal ist das Prädikat Nagoya Kei nur noch eine leere Hülle, die von den großen Namen der Vergangenheit lebt. Die stadteigene Melancholie ist dem Einheitsbrei des Tokioter Allerweltsklangs gewichen und es ist eher eine Ausnahme heute noch auf interessante Bands zu stoßen, die zumindest hier und da noch versuchen das einstige Qualitätssiegel am Leben zu erhalten. BLAZE und DELACROIX sind aus meiner Sicht solche Bands, genauso wie zu gewissen Teilen auch die nicht mehr existenten Heartless. Es gibt sie sicherlich noch da draußen, die unberührten, an den eigenen Traditionen festhaltenden Depri-Metaller der frühen Gründerjahre. Ansonsten spiele ich mit dem Gedanken meinen Fokus nach Hiroshima zu verlegen, wo nicht minder interessante Bands im Untergrund aktiv sind, der geistlosen Fröhlichkeit den Mittelfinger zeigen und noch nicht von störenden externen Einflüssen verdorben wurden.

Der Abschnitt der jetzt kommt, hat es nur deshalb in den Text geschafft, weil ich mir grob vorstellen kann, was ich jeweils verpasst habe. Das vermutliche Top-Album 2011, dass ich mir noch reinziehen werde stammt von DIR EN GREY. Auch das Major Debüt von lynch. sollte erwähnt werden, weil die Jungs eigentlich keine Fehler machen können. Aber dieses Album ist noch nicht mal ansatzweise in meinem Besitz, weshalb ein Urteil bis auf weiteres ausbleibt. Bei den Konzerten ist es wiederum einfacher. Hypothetisch waren die Auftritte von Guitar Wolf und envy bei ihren jeweiligen Gastspielen in Stuttgart, das Beste was letztes Jahr in Deutschland stattfand. Es ist nur schwerlich vorstellbar, dass diese Konzerte, die ich auf Wunsch höherer Instanzen verpasst habe, keine Kracher gewesen sind.

Bei den Neuentdeckungen steht die reformierte Band Misaruka auf Platz 1. Recht interessante Musik, trotz alltäglichen Konzepts und ein interessantes Umfeld verhelfen hier zur Platzierung. Mr.unknown sind musikalisch auf einer weitaus höheren Ebene. Der Grund, warum sie aber nur auf Platz 2 landen liegt darin begründet, dass ich sie schon letztes Jahr entdeckt habe. Aufgrund der Jahresabschlussbegebenheiten zu Beginn des vergangenen Jahres nicht im Rahmen eines Rückblicks auf 2010 unterbringen konnte. Und um das Treppchen abzuschließen, wähle ich Cat fisT. Normalerweise müssten hier C"LOW"N stehen, aber die gibt es ja leider nicht mehr, also wurden ihre Kollegen nachnominiert. Eine Band die aus meiner Sicht einen gewissen Touch hat, der ihr ein wenig Aufmerksamkeit bescheren sollte. Kurzum, sie schlägz in die selbe Bresche wie lynch. und DELACROIX.

Bei den vollkommen neuen Acts greife ich auf VKDB zurück und stelle im Schnellverfahren ein paar Vermutungen auf, wer es wert sein könnte, dass man sich mit der Band auseinandersetzt. Divitron ist basierend auf der Vergangenheit der einzelnen Mitglieder, die unter anderem bei Shinjuku Gewalt, lab. oder metronome waren, wohl der Top 3-Newcomer. Im Gleichschritt folgen ARTEMA um den ehemaligen TINC Gitarristen KENTA. Es scheint, dass er seine Weichspülerphase beendet hat und wieder zu seinen Wurzeln á la Girotin zurückgekehrt ist. Zumindest lässt das Promovideo diese Entwicklung zum Besseren erhoffen - folglich Platz 2. Und mit etwas Glück, dass sie von mir nicht übersehen wurden, auf dem 1. Platz: TRIGGAH. Bei den Namen im Line-up den Platz an jemanden anderen zu geben wäre ein Frevel. Alleine TOMOZO (ex- SULFURIC ACID) gibt der Band ein sicheres Punktepolster vor der Konkurrenz.

Und damit möchte ich auch meinen kleinen Exkurs beenden und wünsche euch, aber eigentlich vor allem mir, ein neues Jahr, in dem man wieder die Zeit findet sich neue Musik anzuhören und nicht nur die Diskografie der letzten 20 Jahre abgrast. Auf ein produktives und erfolgreiches Jahr 2011... Diese Parodie auf Helmut Kohls Neujahrsansprache von 1986 möge man mir verzeihen. Mir war beim Schreiben des Textes aufgefallen, dass mit Ausnahme einzelner Namen und Ereignisse, gerade die von mir kritisierten Textpassagen problemlos jedes Jahr aufs neue genannt werden können, ohne dass sie an Aktualität verlieren. Jedes Jahr ist irgendwie der gleiche Quatsch am Laufen, man findet sich irgendwie damit ab und kann sogar ganz gut leben. Von daher hoffe ich, dass uns 2012 ein paar schöne Erinnerungen für die Facebook Timeline verschafft. Und es fängt ja nicht gerade schlecht an, wenn Bang-Doll und XECSNOIN (wieder mal) wie Phoenix aus der Asche steigen. Es wird schon werden!

Zusammenfassung:

Positive und Negative Ereignisse:
Sollten nicht als Einzeiler aus dem Zusammenhang gerissen werden

Album des Jahres (Höchstseriöse Annahme):
1. DIR EN GREY - "SPIRO DUM SPERO"
2. lynch. - "I BELIEVE IN ME"

Konzert des Jahres (Basierend auf seriös ermittelten empirischen Daten):
1. Guitar Wolf in Stuttgart
2. envy in Stuttgart

Songs des Jahres:
1. DELACROIX - "Betty"
2. Misaruka - "-CURSE OF CONTRACT-"

Neuentdeckungen des Jahres:
1. Misaruka
2. Mr.unknown
3. Cat fisT

Newcomer des Jahres:
1. TRIGGAH
2. ARTEMA
3. Divitron
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Zugehörige Veröffentlichungen

Album CD + DVD 2011-08-03 2011-08-03
DIR EN GREY
Album CD 2011-06-01 2011-06-01
lynch.

Zugehörige Events

Datum Event Spielort
  
03/11/20112011-11-03
Konzert
envy
JuHa West
Stuttgart
Deutschland
  
14/11/20112011-11-14
Konzert
Guitar Wolf
Zwölfzehn
Stuttgart
Deutschland

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